Noch ein bisschen im Dorf

2. August 2012: In der nächsten Nacht sehen wir tatsächlich Typen, die mit Taschenlampen die Kunst angucken! Ich fasse es mal wieder nicht. Die Kunst hat doch Öffnungszeiten! Ich brauche im Hügel meine Nachtruhe! Aber nein. Aus und vorbei. Gareth lacht: »Only today: Special tours because of 50 days documenta.«

50 Tage documenta? Ich verstehe nix. Dann verstehe ich. Ach so, »Bergfest«. Ja, ja, alles klar. Die Hälfte ist vorbei. Es macht mich traurig, das zu hören. Noch weitere 50 Tage und es gibt dann keinen Erdhügel mehr? Unvorstellbar. Wo soll ich hin?

Gareth lacht wieder: »That’s life. You have to go one day.«

Aber doch nicht jetzt schon. Ich brauche noch ein paar Monate. Mindestens ein paar Monate. Gerade geht es doch los mit meinem neuen Leben.

Am Dorfkiosk können Besucher die Tomatenmark-Tassen kaufen, aus denen mir gestern getrunken haben. Oder vielleicht ein Brot, das innen so schön ausgehöhlt ist? Die Kioskverkäuferin zeigt bereitwillig ihre Schätze, die Besucher nicken eifrig. Auf meiner Hitliste der lustigsten documenta-Plätze kurz hinter dem Schrankenplatz.

Ein Pfad führt zu den Bäumen. Kurz vor dem Ende eine Schnur. Es geht nicht mehr weiter. Dahinter: ein Kühlschrank. Die Besucher verweilen, wollen die Tiefen der künstlerischen Aussage ergründen. Ich darf in den Kühlschrank gucken, später am Tag. Nix Kunst, sondern: Milch, Butter, Käse. Und Bier. Alles klar.

Es gibt hier fantastische Schreibplätze, manchmal durch Bänder von den Besuchern abgegrenzt. Ich bin ja »Resident« und darf hier sein. Kann ich alle meine negativen Erlebnisse von früher durch Schreiben heilen? Ich könnte ja einfach erfinden, wie das schöne Leben ist. Dann ist das Drama doch aufgelöst oder? Ein Drama wird ja durch Wiederholung nicht besser. Schreibe ich das Drama aber auf, löse ich mich davon. Und gebe dem Leser die Chance, sein eigenes Drama zu erkennen und auch aufzulösen. Freuen Sie sich auf viele Dramen meines Lebens in den nächsten Wochen. Ich gehe nämlich heute in meinen Erdhügel zurück.

Noch was: AK hat mir von einer Lesung am Sonntag erzählt und mich um Erlaubnis gefragt. Wofür der wiederholte Rummel? Braucht AK das für sein Ego? Von mir aus gerne. AK sollte aber darüber nachdenken, was er da macht. Und warum. Und wofür. Good luck. Und gute Unterhaltung.

Über documenta

Über Briefe und Notizen erhält Andreas Knierim in unregelmässigen Abständen Nachrichten von "Isabelle Hüter". Sie bewohnt, nach eigenen Aussagen, das Kunstwerk von Song Dong "Doing Nothing Garden" auf der dOCUMENTA (13) auf der Karlsaue in Kassel.
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