Überrannt von Menschen

8. Juni 2012: Ein absoluter Katastrophentag! Die Karlswiese, auf der der Erdhügel steht, in dem ich wohne, wird überrannt von Menschen. Ich bin richtig eingekreist von der Masse. Den ganzen Tag höre ich einen Hubschrauber. Es ist furchtbar.

Mein erster Impuls ist Flucht. Ich kontrolliere diesen Impuls, ich halte stand. Etwas muss ich doch in meiner Managerkarriere gelernt haben!

Je mehr Menschen sich da im außen einfinden, umso mehr reise ich nach innen. Ich muss mich vor all den Gedanken, Stimmen, Füssen schützen.

Am schönsten ist es, wenn die Sonne aufgeht. Heute Morgen hat sie sich durch eines meiner Gucklöcher gezeigt. Ich wache auf, ich blinzele. Ich stehe auf und gehe in meinem Schlafanzug sofort nach draussen. Auf der Wiese ist um diese Zeit kein Mensch, ich wandele ein bisschen umher, lasse mich von der Sonne wärmen. Wird das überhaupt noch gehen in den nächsten Wochen?

Dann gehe ich in meinen Erdhügel zurück, der keineswegs dunkel und kalt ist. Er behütet mich, er wärmt mich. Auch deshalb nenne ich mich Hüter. Mein neuer Name hilft mir, mich als Persönlichkeit zu finden, mir meine Aufgabe klar zu machen. Ich bin der Hüter dieses Erdhügels. Meine Aufgabe scheint es zu sein, das Nichtstun all diesen Menschen näher zu bringen, die nur noch tun.

Es sind aber zu viele, die hier sind. Für mich sind es zu viele. Welche Überraschungen hat das Künstler noch zu bieten? Die documenta fängt doch erst an!

Kommen morgen noch mehr Menschen? Ich befürchte es. Wie wappne ich mich? Durch das Schreiben? Schreiben ist aber doch auch: Tun. Sollte ich damit aufhören?

Über documenta

Über Briefe und Notizen erhält Andreas Knierim in unregelmässigen Abständen Nachrichten von "Isabelle Hüter". Sie bewohnt, nach eigenen Aussagen, das Kunstwerk von Song Dong "Doing Nothing Garden" auf der dOCUMENTA (13) auf der Karlsaue in Kassel.
Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.