Der Regen

18. Juli: Der Regen macht mich verrückt. Zwei Wochen hat die Decke gehalten, nun tropft es überall. Die documenta-Leute unterstützen mich, wo sie können. Ziehen Plastikbahnen ein, bauen Regenabläufe. Es nützt nichts mehr.

In meiner Küche steht die Gasflasche für Herd und Kühlschrank. Kühlen muss ich fast gar nichts mehr, es reicht, kleine Kuhlen in die Erde zu buddeln. Froh bin ich um die beiden Herdplatten. Ich wärme mich von innen, mit Kaffee, Tee, Suppe. Es tut so gut.

Der erdige Geruch. Nein, inzwischen der faulige Geruch. Ich rieche hier jede Minute, was ich in meinem früheren Business-Leben ausgeblendet habe: den Verfall. Jahrelang habe ich geglaubt, dass es nur Wachstum gibt. Immer alles neu, kümmert euch nicht um den Müll. Jetzt wohne ich im Müll. Tue Buße für meine Müllproduktion. Irgendwie bin ich eine Außenstelle der Occupy-Bewegung. Eben nur ohne Zelt.

Ich führe Sie noch ein wenig herum: Meine Toilette ist ein Plumpsklo mit hervorragender Wasserspülung. Ich habe einen richtigen Toilettensitz, oben sitzt eine Auffangschüssel für das Regen(!)-Wasser. So langsam verstehe ich, warum es so viel regnet: Damit ich meine Scheiße hier ordentlich weg bekomme. Entschuldigen Sie den Ausdruck, es gibt aber keinen besseren. Die Scheiße aus meinem Leben muss endlich weg.

Ganz hinten ist mein Schlafgemach. Ein Traum von einem Bett. Ein Himmelbett mit Plastikplanen oben (Regen!). Matratze, Laken, Winterdecke. Der wärmste Platz in meinem Hügel. Daneben ein Hocker mit Papier und Stift zum Aufschreiben meiner Träume. Meist wache ich nachts auf, notiere etwas.

Ich habe überall Batteriestrom – wenn ich das will. Manchmal schalte ich alles aus, stelle ein Teelicht auf. Völlig ausreichend. Es ist enorm hell mit diesem winzigen Licht. In meinem früheren Büro habe ich nachts viel gearbeitet. Bei voller Beleuchtung. Noch den kleinsten Winkel meines Schreibtisches wollte ich ausleuchten. Vorbei!

Je weniger Licht ich im Außen habe, desto mehr scheine ich innen zu leuchten.

Über documenta

Über Briefe und Notizen erhält Andreas Knierim in unregelmässigen Abständen Nachrichten von "Isabelle Hüter". Sie bewohnt, nach eigenen Aussagen, das Kunstwerk von Song Dong "Doing Nothing Garden" auf der dOCUMENTA (13) auf der Karlsaue in Kassel.
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