Darf ich endlich?

17. August 2012: In einem meiner teuren Business-Selbsterfahrungsseminare ging es einmal um eine Art Mutprobe. Kurz bevor es losging, zögerte ich. Der Seminarleiter schaute mich an und sagte: »Von mir bekommen Sie die Erlaubnis nicht!« Ich war so sauer auf ihn, dass ich losging. Am Abend sprach er mich darauf an, sehr freundlich. Ich war natürlich noch sauer und sagte: »Kann ich mir vorstellen, was Sie jetzt sagen wollen: Die Erlaubnis kann ich mir nur selbst geben.« Er nickte, lächelte.

An diesen Abend habe ich lange gedacht. Mir endlich die Erlaubnis zu geben. Zur Mutprobe? Zum Leben? Zum Erwachsensein? Zum Frausein? Immer wieder habe ich auf diesen Moment hingearbeitet, um mir dann die Erlaubnis zu verweigern. »Es ist noch nicht soweit«, »Du musst noch mehr arbeiten«, »Noch nicht gut genug« und so weiter.

Ich spüre ganz deutlich, dass dieser Moment jetzt da ist. Ich träume den Moment hier im Erdhügel fast jede Nacht. Ich gehe in diesem Traum endlich los. Manchmal auf einem Hochseil, ohne Balancierstange! Manchmal springe ich Bungee.

Gestern bin ich geflogen. Gestartet wie ein Adler vom höchsten Baum im Wald. Ganz konzentriert habe ich meine Flügel ausgebreitet, mich abgestossen. Gleitflug. Ein wenig mit Flügeln schlagen. Schauen. Lange schauen. In Kreisen nach oben schrauben. Es ist sehr hoch. Es ist wunderbar.

Darf ich endlich? Vergessen Sie das »darf«, vergessen Sie das »endlich«.

Ich tue es. Ich tue es jetzt. Ich bin der Adler.

Über documenta

Über Briefe und Notizen erhält Andreas Knierim in unregelmässigen Abständen Nachrichten von "Isabelle Hüter". Sie bewohnt, nach eigenen Aussagen, das Kunstwerk von Song Dong "Doing Nothing Garden" auf der dOCUMENTA (13) auf der Karlsaue in Kassel.
Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.