Bin ich das überhaupt noch? Und: Ich trage keinen Hut!

6. August 2012: Gleich zu Anfang:

1. Ich weiß nicht, was ich in meiner »Untergrundarbeit« noch so vor habe.

2. Ich ernte nichts auf dem Erdhügel.

3. Ich trage keinen Hut.

Das scheinen ja die wichtigsten Antworten für Sie zu sein.

Ich konnte nicht anders, ich war im Kunsttempel. AK hat mir das Programm in unseren Briefkasten gelegt. Mit meinem Stadtplan war es keine Kunst, den Ort zu finden. Die Herausforderung war, so weit durch die Stadt zu laufen. In den letzten Monaten habe ich mich ja so gut wie nicht bewegt. Jetzt gehe ich durch die Strassen, schaue auf die Menschen. Mein Chauffeur hat mich damals vor all diesen Eindrücken »beschützt«. Ich bin so gut wie gar nicht mehr zu Fuß gegangen. Wie schade das doch war. Jetzt sehe ich alles in meiner Geschwindigkeit. Es ist irgendwie so, als ob mich das Leben wieder zurück holt.

Ich war nur draußen auf der Terrasse. Gut, dass es einen Lautsprecher gab. Unten in dieser Bar hätte ich es nicht ertragen, meine Geschichten zu hören. Neben mir saß ein Herr mit Sonnenbrille, der sicher Künstler ist. So ganz in Schwarz, wie er gekleidet war. Er lächelte. Wir haben nicht miteinander gesprochen, nur gemeinsam zugehört.

Erschreckend, was ich da am Anfang meiner Erdhügelzeit von mir gegeben habe. Bin ich das überhaupt noch?

Auf der anderen Seite: Wie anders ich heute über mich denke. Wie weit weg mein altes Leben ist – die ewig gleiche Arbeit, die Müdigkeit am Abend, die Sinnlosigkeit meines Tuns.

Ich bin das Alte nicht mehr.

Dafür war es wirklich gut, alles aufzuschreiben. Ich erkenne den Unterschied. Ich sollte Schreibkurse in meinem Erdhügel anbieten! Übernachtungsplätze wie Gareth in seinem Dorf offerieren. Mit meinen Gästen über das Leben philosophieren. Ihnen eine Auszeit gönnen.

Als AK vorgelesen hat, konnte ich die Verbindung zu den Menschen spüren, die unten in der Bar zuhörten. Ich scheine ihnen etwas zu geben, mit dem, was ich aufgeschrieben habe. Das fasziniert mich – ehrlich. Ich habe den Menschen etwas zu geben? Wenn ich doch nur meine Gedanken aufschreibe?

In der Pause sind die Zuhörer nach oben gekommen. Das war sehr schön, sie dort alle zu sehen. Sie sahen so entspannt aus. Ein kleines Mädchen war eingeschlafen, der Vater trug es behutsam. Viel würde ich geben, so schlafen zu können. In mitten all dieser Menschen, einfach schlafen.

Ich bin kurz weggegangen, hatte zu sehr Angst, in ein Gespräch verwickelt zu werden, mich vielleicht zu verplappern. Ich bin einige Treppen runter  und stand doch tatsächlich in einem Gemüsegarten! Und es hat auch noch mit der documenta zu tun. Irgendwie passt hier alles zusammen.

Beim zweiten Teil saß ich wieder oben. Ich merke: Sie fühlen mit mir, so kommt es mir jedenfalls vor. Danke dafür, das hilft mit sehr.

Über documenta

Über Briefe und Notizen erhält Andreas Knierim in unregelmässigen Abständen Nachrichten von "Isabelle Hüter". Sie bewohnt, nach eigenen Aussagen, das Kunstwerk von Song Dong "Doing Nothing Garden" auf der dOCUMENTA (13) auf der Karlsaue in Kassel.
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