»Glück«

6. Juli 2012: Das Leben als eine Abfolge von Anpassung an Konventionen. Oder eine Folge von Auflehnungen gegen Konventionen mit jeweils dem gleichen Ergebnis: Zu viel Denken, zu wenig Sein im Augenblick.

Es ist schon erstaunlich, wie oft ich mich strukturiere – und dabei gegen aufkommende Sinnlosigkeit kämpfe – mit der Frage: Was mache ich heute? Bleibe ich im Erdhügel, gehe ich raus? Was kommt als Nächstes? Was habe ich gestern gemacht? Bin in zufrieden mit dem, was ich tue?

Der unmittelbare Genuss des Augenblicks, er fehlt. Manchmal scheint so etwas wie »Glück« hervor, aus dem Unbewussten auftauchend. Es zieht vorbei und entschwindet im Nichts. Macht Platz für die erneuten Gedanken, was heute zu tun – oder auch zu lassen – ist.

Der Mensch strebt nach Weiterentwicklung. Vielleicht zuerst im Außen. Das reicht im fortgeschrittenen Alter dann nicht mehr. Es muss eine innere Veränderungen stattfinden, was auch gut so ist. Der Zweck der eigenen Existenz sollte in eine positive Antwort münden, um Traurigkeit zu vermeiden. Ja, zu vermeiden. Von mir aus bewusst zu vermeiden.

Dann, wahrscheinlich auch nur dann, stellen sich die Glücksmomente ein. Ich mache ein Picknick in der Karlsaue, ich schaue in die Landschaft. Schön. Glück.

Der Wein langsam warm, die ersten Ameisen erobern die Picknickdecke, ein Bus lärmt. Glück vorbei. Aber egal, was zählt, ist das es überhaupt den einen Glücksmoment gab. Ich gehe durch die Aue, der Moment lässt mich ein wenig schweben. Das ist es wert. Der kurze Moment ist all die Mühe wert, die diesem Augenblick im Leben vorangegangen ist.

Es gibt also das Leben vor dem Moment und nach dem Moment. Und wieder davor. Das Glücksmoment zeigt sich eben nicht auf der bewusst-steuernden Ebene. Unmittelbar vor dem sich einstellenden Glück scheint sich etwas zu drehen, hin zu diesem Moment. Für kurze Zeit verstummen die inneren Mahnungen, die Sorgen, die Schuldgefühle. Machen Platz für das reine Durchströmen des Körpers.

Wie beim Verliebtsein. Nur, dass sich der Geist diesmal einfach mal selbst liebt. Seinem Körper den Raum dafür ohne Gegenwehr überlässt. Denn der Geist weiß, dass er ohne diese Glücksgefühle nicht überleben kann. Dies sich nicht steuern lassen, wie ärgerlich für diesen Rationalisten. Der Geist findet sich damit ab, weiß er doch, dass er Sekunden später wieder die Oberhand gewinnen wird.

Über documenta

Über Briefe und Notizen erhält Andreas Knierim in unregelmässigen Abständen Nachrichten von "Isabelle Hüter". Sie bewohnt, nach eigenen Aussagen, das Kunstwerk von Song Dong "Doing Nothing Garden" auf der dOCUMENTA (13) auf der Karlsaue in Kassel.
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